Kritik ist angebracht. Oder nicht?

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Mal wieder ist schon viel zu lange her, dass ich hier was geschrieben habe. Keine Zeit, keine Lust, eine lange Zeit nicht mehr voll funktionsfähige Tastatur, wenig überzeugende Leistungen der Löwen, keine Zeit … hmmm, ich wiederhole mich. Nun aber ist es Zeit, doch mal Kritik zu üben.

Es brodelt ein wenig in mir, manchmal sogar mehr. Das hat mit den Leistungen der Rhein-Neckar Löwen zu tun. Es hat aber auch mit dem Drumherum bei den Löwen zu tun. Und es hat nicht zuletzt mit der Kritik zu tun, die z.B. auf Instagram oder in Internetforen auf die Löwen einprasselt. Genauer: Mit der Art und Weise, wie Kritik geübt wird. Da das zu viele Themen sind, wird es wohl eine kleine Serie an Artikeln geben. Wer in einem der Teile eine wilde “Abrechnung” mit den Löwen erwartet, kann gleich aufhören zu lesen. NGTH!

Kritik an den Leistungen

Ja, da gibt es einiges, was zu kritisieren ist. Die Leistungsträger des letzten Jahres schwächeln (zu) oft, haben zu wenig Konstanz. Klar gibt es dafür Gründe, meiner Meinung nach sogar recht gute Gründe. Werfen wir daher einen Blick auf einzelne Spieler, auf den Trainer, und auf die Mannschaft als Ganzes, und auf das Drumherum.

Top-Trio im Tor? Nicht immer.

Nominell sind die Löwen mit Mikael Appelgren, Joel Birlehm und David Späth überragende aufgestellt. Schauen wir uns die Anzahl der Paraden an (Stand: 23.11.2023), dann liegen die drei mit 62 (Appelgren), 57 (Birlehm) und 49 (Späth) weit hinter anderen Torhütern. Die Gesamtzahl der Paraden aller drei ist mit 165 allerdings sehr gut. Da sich Appelgren (5:02 Stunden), Birlehm (3:48) und Späth (3:31) die Spielzeit viel stärker aufteilen, als dies in anderen Teams der Fall ist, sind die prozentualen Werte aussagekräftiger. Dort liegen die drei mit 34,34% (Birlehm), 31,21% (Späth) und 29,81% (Appelgren) unter den Torhütern mit nennenswerterer Spielzeit auf den Plätzen 2, 5 und 10, wenn man der Website der Liqui Moly HBL folgt.

Dass die Löwen in diversen Spielen dennoch das Torhüterduell verlieren, liegt natürlich nicht nur an Appelgren, Birlehm und Späth. Da spielt die Abwehr eine nicht unwesentliche Rolle, und die zuletzt leider viel zu oft zu bemerkende Abschlussschwäche im Angriff, die gegnerische Torhüter teilweise zur Weltklasse macht.

Kritik mal etwas differenzierter betrachtet

Blicken wir genauer auf die einzelnen Torhüter, dann zeigen sich hier einige aus meiner Sicht bemerkenswerte Details. Während Appelgren bei Würfen aus dem Rückraum-Nahbereich mit 38,38% nur knapp hinter dem Neu-Kieler Samir Bellahcene auf Platz 2 der HBL liegt, rangiert er bei Würfen von außen mit lediglich 12,50% nur unter ferner liefen. Hier ist Kritik also durchaus angebracht. Die Würfe von außen sind dagegen eine Domäne von Birlehm, der nur jeden zweiten Wurf passieren lässt. Bei Tempogegenstößen hat Birlehm sogar den Liga-Bestwert (66,67%). In all diesen Kategorien liegt Späth im oberen Mittelfeld, ist dafür aber gegen Würfe vom Kreis mit 33,33% gehaltenen Bällen ligaweit auf Platz 2 hinter Adam Morawski von der MT Melsungen.

Wo sich alle drei sozusagen “einig” sind ist die Schwäche bei gegnerischen Siebenmetern. Appelgren liegt dort immerhin noch bei 22,22%, Birlehm bei nur bei 18,75% und Späth bei gerade mal 12,50%. Insgesamt hat das Torwart-Trio der Löwen nur 8 von 42 Siebenmetern entschärft, das sind in der Gesamtbetrachtung lediglich 19,05%. Das gepaart mit der Schwäche der Löwen beim Verwandeln der eigenen Siebenmeter ist keine gute Sache.

Auswechseln!

Es ist ja richtig, Kritik zu üben. Tatsächlich haben die Torhüter der Löwen nicht immer gut ins Spiel gefunden. Für mich war es z.B. unverständlich, warum Birlehm in Eisenach die ganze erste Halbzeit und noch einen Teil der zweiten Halbzeit gespielt hat. Hier früher zu reagieren hätte vielleicht helfen können. Wobei an dem Tag in der Werner-Aßmann-Halle das preisgünstige Essen und das Gespräch mit Anett Sattler nach Spielschluss das Beste waren. Das Spiel selber … ohh, Hundewelpen! Awwwww!

Wo war ich stehen geblieben? Ach ja: Auswechseln! Das Wort hörte ich in Berlin schräg hinter mir von einem Löwen-Fan nach spätestens 10 Minuten des Spiels. Und es kam immer wieder, in diversen Variationen. Ich entschuldige mich auf diesem Weg für meine vielleicht etwas heftige Reaktion in der Halle, aber diese Form von Kritik geht mir mächtig auf den Zeiger. Manchmal brauchen Torhüter eben eine Weile, um ins Spiel zu kommen, wie z.B. Joel Birlehm beim European League Spiel gegen Lissabon. Wäre ein Thierry Omeyer jedes Mal nach 10 Minuten ausgewechselt worden, in denen er nicht viel gehalten hat, wäre er nie zu einem der besten Torhüter aller Zeiten geworden. Dass Appelgren in Berlin auch später nicht viel zu fassen bekam, steht auf einem anderen Blatt.

Um auch noch aktuelle Entwicklungen zu berücksichtigen: In den letzten Spielen war eigentlich immer einer der drei dabei, der eine starke bis überragende Leistung zeigen konnte. Gestern z.B. hatte Appelgren 24 (!) Paraden! Es bewegt sich also einiges in die richtige Richtung.

Juri ist zu egoistisch

Oder auch: Juri ist nicht eigensinnig genug. Damit sind wir bei DER zentralen Figur im Spiel der Löwen angekommen. Wer Gespräche über Juri Knorr mitbekommt, oder auch in Foren Beiträge zu seiner Person liest, könnte beides glauben. Getreu dem Motto, dass man es niemandem recht machen kann, spielt Knorr entweder zu oft ab auf den Nebenmann oder er sucht zu oft den eigenen Torerfolg.. Das richtige Maß wird ihm eigentlich selten attestiert, vor allem nach Niederlagen. Immerhin: Knorr hat es selbst erkannt, dass er in Flensburg ein Spiel der Marke “Zu uneigennützig” abgeliefert hat, wie er im Interview bei der ARD bekannte. Findet er das richtige Maß, ist für die Löwen viel gewonnen. Übrigens: Beim bereits erwähnten Spiel gegen Lissabon in der European League war das schon deutlich besser.

Dass Knorr nicht auf dem konstant hohen Level wie über weite Strecken der letzten Saison spielt, bezweifelt niemand. Genauso wäre es Schönfärberei, würde man seine Leistungen mit einem lockeren “gut” abtun. 31 technische Fehler in der bisherigen HBL-Saison sind eine Menge. Dass Mathias Gidsel von den Füchsen 38 technische Fehler hat, relativiert die Leistung von Knorr aber ein wenig. Wobei Gidsel mit 56 Assists aber halt auch 16 mehr hat als Knorr, sowie eine deutlich bessere Wurfquote. Kritik an Knorr ist durchaus angebracht, aber ihn als Feigling zu bezeichnen – selbst gehört – oder noch Schlimmeres, Geht! Gar! Nicht!

Zu viele Spiele?

Tja, das ist das Los der richtig guten Handballer: Es gibt sehr viele Spiele. Knorr hatte zu Beginn des Jahres, im Zusammenhang mit der WM, auf die hohe Belastung verwiesen, und da haben die Löwen noch nicht europäisch gespielt. Nun ist die Belastung noch höher, und die Leistungen von Knorr schwankend. Wer meint, dass er nun klein beigibt, der dürfte sich täuschen. Wenn ich das Interview in der ARD nach dem Spiel der Löwen in Flensburg richtig deute, nimmt Knorr die Herausforderung an. Er weiß, dass es ein wichtiger Schritt in Richtung absolute Weltklasse ist, trotz vieler Spiele den Kopf frei zu behalten und gute bis sehr gute Leistungen abzuliefern. Und auch Jennifer Kettemann, Geschäftsführerin der Rhein-Neckar Löwen, sprach diesen Punkt in der neusten Folge Löwenfunk an und sagte, dass es für alle Spieler – und für den Trainerstab – ein Lernprozess ist.

Das zerbrochene Herzstück

Wer an die Saison 2022/23 denkt, und dabei besonders an die fulminante Hinserie, der muss nicht lange hinschauen, um den Innenblock der Abwehr als Herzstück der Löwen zu identifizieren. Zwei Neuzugänge, die beide von Anfang an funktionierten, waren dafür (mit-)verantwortlich. Der ruhige, eher besonnen wirkende Olle Forsell Schefvert, sowie das heißblütige Motivationsmonster Halil Jaganjac waren Gold wert! Hinten dicht machen, den Rest der Abwehr mitreißen, und vorne mitverantwortlich sein für viel Druck in der ersten und zweiten Welle. Ein Traum! Gab es das schon mal irgendwo, dass das Herzstück der Abwehr komplett neu besetzt wurde und so schnell so überragend funktioniert hat? Kritik kam da nie auf, warum auch? Es lief ja wunderbar.

Bis zur schweren Schulterverletzung von Jaganjac beim Auswärtsspiel in Nürnberg gegen den HC Erlangen. Seine Power in der Abwehr, seine Dynamik im Angriff, sie fehlten Zwar steigerte sich Lukas Nilsson im Verlauf der Saison, doch der ging nach der Saison zu Aalborg. Immer noch ist Jaganjac nicht wieder voll einsatzfähig, auch wenn er immerhin wieder in der Abwehr mitmischen darf. Ob das nochmal was wird mit der Schulter, die vor einige Zeit erneut operiert werden musste? Es wäre den Löwen zu wünschen, denn gerade die Position im linken Rückraum bietet derzeit genug Stoff für Kritik. Kommen wir damit zur …

Kritik am linken Rückraum

Dass einige Kritik daran üben, dass die Löwen von der halblinken Position kaum Torgefahr ausstrahlen, ist in der Sache sicher nicht verkehrt. Doch es gibt Gründe für diese Schwäche. Zum einen die bereits erwähnte Verletzung von Jaganjac. Zu allem Übel ist Philipp Ahouansou (wieder) verletzt und fällt noch eine Weile aus. Wenn dir deine vor der Saison als Optionen 1 und 2 angesehenen Spieler auf der Königsposition fehlen, muss du zwangsläufig auf Option 3 zurück greifen. Die dürfte eigentlich Gustav Davidsson sein, einer der Neuzugänge. Zu denen komme ich in einem späteren Beitrag. Zuletzt spielte dort aber eher Forsell Schefvert, was natürlich auch Auswirkungen auf seine Defensivleistungen hat, auf die er sich letzte Saison fast ausschließlich konzentrieren konnte.

Es klemmt, und die Folge ist eine teilweise vehemente und meiner Meinung nach mehr als nur einmal unfaire, überzogene Kritik an der Personalpolitik der Löwen. Auch dazu gibt es in einem späteren Beitrag mehr. Da wird es dann auch um die Nachverpflichtung Andreas Holst Jensen gehen, den manche nach dem Spiel gegen HBC Nantes in der European League schon fast zum neuen Heilsbringer gemacht haben.

Kritik, nur um der Kritik willen?

So kommt es mir vor, wenn ich höre und sehe, was teilweise an Äußerungen bzgl. Niclas Kirkeløkke, Lion Zacharias und David Móré geäußert wird. Ich mache es kurz: Dieser Kritik schließe ich mich nicht an. Kirkeløkke liefert in der Abwehr richtig gut ab und hat vorne viele schwierige Würfe zu nehmen. Oft ist er es, dem die Verantwortung für den Wurf zugeschoben wird, wenn die Schiedsrichter den Arm oben haben. Dass seine Wurfquote, von Ausnahmen wie in Lissabon (14 von 15!) abgesehen, darunter leidet, ist nur zu verständlich. Wobei er immer noch bei etwas über 54% steht, und somit nicht weit weg ist von Juri Knorr.

Was die beiden jungen Linksaußen angeht: Die beiden sind jung, haben noch wenig Erfahrung. Da sind schwankende Leistungen und Fehler nichts Ungewöhnliches. Die beiden werden aber lernen und von den vielen Einsatzzeiten profitieren. So wie auch Uwe Gesnheimer einst von der langfristigen Verletzung von Gudjon Valur Sigurdsson profitiert hat.

Noch jemand ohne Fahrschein?

Ja, und zwar die Kreisläufer. Mit Steven Plucnar Jacobsen beschäftige ich mich im nächsten Artikel, aber Jannik Kohlbacher und Ymir Örn Gislason sind heute dran. Fangen wir an bei der klaren #1 am Kreis, bei Kohlbacher. Seine Wurfquote ist mit knapp unter 70% vom Kreis eher bescheiden. Andere Kreisläufer der HBL liegen teilweise bei knapp 90%, und auch wenn Nationalmannschaftskapitän Johannes Golla noch etwas unter Kohlbacher liegt, sollte das nicht der Maßstab sein. So sehr ich die positive Entwicklung von Kohlbacher in der Abwehr schätze, u.a. und besonders im Innenblock, würde ich mich freuen, wenn er in Sachen Trefferquote nochmal zulegen könnte.

Was uns zu Gislason bringt. Wertvoll ist sicher die Energie, die er in die Abwehr bringt. Er ist immer wieder jemand, der andere mitreißen kann, der leidenschaftlich verteidigt und der nie aufgibt. Zwei Probleme gibt es aber bei ihm: nach wie vor ist er zu oft ungestüm, was ihn immer in die Gefahr bringt, sich eine Zeitstrafe einzuhandeln. Und was seine Angriffsleistung angeht … ja, er wird nicht oft vorne eigesetzt. Aber wenn, dann merkt man leider zu viel zu oft, warum dem so ist. Da werden etwas schärfere Anspiele an den Kreis nicht gefangen, oder der Abschluss ist nicht hochprozentig drin. Sein Vertrag läuft aus, und ich würde ihn ehrlicherweise gerne behalten; nicht zuletzt, weil er auch in Sachen Interaktion mit den Fans immer vorne mit dabei ist. Ob die Löwen das auch so sehen? Mittelfristig erwarte ich allerdings Plucnar als #2 am Kreis.

Fast vergessen

Es gibt ja auch noch einen Trainer, den auch ich schon mehr als einmal kritisiert habe. Grundsätzlich habe ich nichts gegen Sebastian Hinze. Ich bin sogar froh, dass er Trainer der Löwen ist. Seine Spielidee finde ich überragend, und was er letzte Saison bewirkt hat, ist großartig! Meine Kritik an Hinze ist daher auch keine grundsätzliche Kritik, doch es gibt ein paar Punkte, die mir in letzter Zeit negativ aufgefallen sind.

Insbesondere beim Spiel in Eisenach, bei dem ich in der Halle war, hat mir das Verhalten von Hinze überhaupt nicht gefallen. Ständige Diskussionen, wildes Gestikulieren gegenüber gegnerischen Spielern, gegenüber dem Eisenacher Trainer, sowie immer wieder Diskussionen mit den Schiedsrichtern machten auf mich einen wenig souverän Eindruck. Hinze wirkte da sehr angefasst, wobei er sich besser um seine Mannschaft und deren nicht vorhandene Einstellung zum aggressiven, um jeden Zentimeter kämpfenden Gegner hätte kümmern sollen. Zum ersten mal seit seinem Amtsantritt hatte ich den Eindruck, dass Hinze in einem Spiel wirklich ratlos war, und dass diese Ratlosigkeit sich in einem negativen Verhalten zeigte. Das zeigte sich auch einige Tage später in Berlin. Hier hoffe ich auf einen Lernprozess, denn diese Unruhe, die Hinze auf mich und andere in meiner Umgebung ausstrahlte, war bei jedem seiner Spieler zu bemerken. Das muss besser werden!

Schluss mit Kritik!

Jedenfalls für heute. Mit Kritik geht es aber weiter, denn es gibt noch so einiges, was mich und anderen im Zusammenhang mit den Löwen umtreibt. Ganz besonders richtet sich die Kritik gegen die Neuzugänge und gegen den Verein an sich. Damit kennt ihr auch schon die Themen für die nächsten beiden Artikel dieses Dreierpacks, die morgen bzw. übermorgen jeweils um 17:00 Uhr erscheinen werden. Stay tuned!