Fan zu sein, das ist nicht leicht

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Um gleich von vorneherein eines klar zu stellen: Ich bin sicher nicht der Super-Fan eines Teams. Zu jedem Auswärtsspiel fahren? Nein, nicht mein Ding. In Bettwäsche des Lieblingsvereins schlafen? Ähhh … nein. Drölfzig Trikots meines Team kaufen? Ich nenne keine Namen, aber das ist eher das Ding von anderen. Die Schiedsrichter pfeifen immer gegen uns? Klar. Aber eigentlich ja doch nicht.

Fan zu sein ist irrational

Damit ist das Wichtigste schon gesagt. Als Fan denkst du nicht in normalen Kategorien. Es geht nicht darum, alles von A bis Z zu durchdenken. Genauso wenig geht es darum, alles in Bezug auf alles Mögliche zu analysieren. Emotionen bestimmen das Denken, Handeln. Und das, was einem während eines Spiels so über die Lippen kommt.

Himmelhochjauchzend

Und das von jetzt auf gleich. So wie gestern beim Spiel der Rhein-Neckar Löwen gegen den HC Erlangen. Unfassbar geniale Anfangsphase der Löwen, die nach dem 0:1 mal eben einen 7:0-Lauf hinlegen. Mit einer bärenstarken, lauffreudigen und aggressiven Abwehr und konsequenten Abschlüssen im Angriff. Ich wäre unehrlich, wenn ich sagen würde, dass es da keinen Spaß macht, Fan zu sein. Und auch um mich herum waren viele glückliche Gesichter in meinem Blickfeld. Es waren lobende Worte zu hören, anerkennendes Nicken zu sehen.

Nachdenklich

Dann begann der Motor der Löwen zu stocken. Erst nur ein wenig, sodass der Vorsprung der Löwen von sechs Toren (beim 7:1) auf fünf Tore (beim 10:5) eher unwesentlich schmolz. Doch man merkte bereits hier, dass das Löwenspiel wackliger wurde. Leichtes Grummeln machte sich breit, wenn auch noch nur vereinzelt. Und dann erreichte mein Ohr ein Kommentar, bei dem ich dachte, ich bin im falschen Film. “Der kriegt auf Linksaußen keinen Ball! Warum lässt man denn da keinen andern spielen?”. Gemeint war David Moré aus der A-Jugend-Bundesliga-Mannschaft der Löwen, der gestern erstmals in der HBL auflief.

Kein Kommentar

Fan zu sein heißt ja, durchaus, emotional zu sein. Manchmal ist es aber angesagt, diese Emotionen ein wenig zu zügeln. So habe ich mal nichts gesagt, sondern mir nur meinen Teil gedacht. Wer hätte denn spielen sollen? Wäre einer aus dem Quartett Uwe Gensheimer, Benjamin Helander, Leon Zacharias und Maximilian Kessler einsatzbereit gewesen, dann hätte derjenige gespielt. Wie Trainer Ljubomir Vranjes aber während der Pressekonferenz sagte, standen alle vier aus unterschiedlichen Gründen nicht zur Verfügung. Wen hätte man dann dorthin stellen sollen? Nilsson? Patrail? Ahouansou? Fan zu sein ist aber auch das: Besser als der Trainer zu wissen, was richtig ist. Das gilt besonders für Situationen, wenn keine näheren Informationen vorhanden sind.

Halbzeitführung

Zwar gingen die Löwen dann doch mit einem kleinen Vorsprung (13:12) in die Halbzeitpause, aber die Fanseele ist dadurch natürlich nicht besänftigt. Auch wenn der letzte Treffer von Patrick Groetzki herrlich herausgespielt war. Irgendwie machte sich doch eine gewissen Unzufriedenheit breit. Unzufriedenheit damit, dass die Löwen die gute Leistung der Anfangsphase nicht durchhalten konnten. Unzufriedenheit damit, dass sich Fehler einschlichen, die schon die ganze Saison passieren.

Fan zu sein heißt leiden

Leidenschaft ist etwas, was mensch als Fan hat. Das braucht es aber auch, um Fan zu sein. Damit wir uns nicht falsch verstehen: Es geht hier nicht um die Klärung der Frage, wer ein richtiger Fan ist und wer nicht. Fan zu sein ist für jeden individuell. Aber so ganz ohne Leidenschaft, einfach nur “Ach schön, dass mein Verein gewonnen hat!” oder “Das ist aber schade, dass mein Verein jetzt verloren hat.”? Na ja, wie auch immer: Für mich gehört Leidenschaft mit dazu, und in dem Wort steckt das Wort “Leiden” mit drin. Und leiden musste mensch gestern als Fan der Löwen. Denn nach 43 Minuten stand es 16:21. Wer das teilnahmslos registriert, kann doch kein Fan … lassen wir das.

Erfolgsfans

Lieben wir nicht alle diese Fans, die in die Kategorie “Erfolgsfans” einzuordnen sind? Schließlich sind sie wichtig für die Ticketverkäufe. Erfolg macht sexy, und das zieht Zuschauer:innen an. Erfolg verkauft auch Merchandising-Artikel, und daher ist Erfolg wichtig für einen Verein. Doch Erfolgsfans haben ihren Ruf weg. Zum einen sind sie oft zwar in der Halle, vielleicht sogar lautstark, aber wenn es nicht läuft, v.a. wenn es über einen längeren Zeitraum nicht läuft, dann sind sie auch wieder weg. Irgend ein anderes Teams hat dann ja Erfolg, und dann kann mensch sich dem anschließen.

Fan zu sein kann Ihren Blutdruck erhöhen

Müsste eigentlich als Warnhinweis auf Eintrittskarten stehen, oder? Gestern hatte ich jedenfalls genug Blutdruck. Mit der Betonung auf Druck. Daran hatten die Löwen keinen unwesentlichen Anteil, doch auch so mancher “Fan” im Stehplatzbereich sorgte dafür, dass hier auch kein Baldrian oder ähnliches geholfen hätte. Da gab es lautstarke Unmutsbekundungen, als Moré – wir erinnern uns: A-Jugendlicher, erstes HBL-Spiel – eine klitzekleine Wurfchance nicht nimmt. Und dann noch mein Lieblingssatz des gestrigen Tages: “Ich glaube, das ist mein letztes Spiel in der Saison. Das macht doch keinen Spaß!”.

Fan zu sein kann Spaß machen. Kann!

Ernsthaft? Ich gehe nur zu Spielen, wenn es mir Spaß macht? Dann brauche ich mich nicht in den Fanblock zu stellen, brauche mich nicht Fan zu nennen! Bleibt zuhause! Sucht euch eine Mannschaft, die Titel serienweise gewinnt, die nie durch Tiefen gehen muss, die sich nie wieder hoch kämpfen müssen. Ist zumindest meine Meinung. Ich weiß, wovon ich rede. Als Fan der San Francisco 49ers und des KSC sind mir schwere Zeiten nämlich nicht unbekannt.

Natürlich freue auch ich mich mehr über ein Spiel der Löwen, wenn die Männer auf der Platte zaubern, gewinnen, besser sind als der Gegner, den Gegner dominieren. Für mich aber gehört es zum Fansein dazu, mein Team in schwierigen Situationen erst recht anzufeuern.

Einen Heiligenschein habe ich nicht

Klar gehen auch mit mir mal die Gäule durch in einem Spiel wie gestern. Es ist gut, dass ich heute nicht viel reden muss. Fan zu sein heißt zumindest für mich, dass mensch nicht nur stumm den Kopf schüttelt, sondern auch mal Brüller raus lässt. Die sind auch bei mir eher unreflektiert. Gestern habe ich den Jungs auch zugebrüllt, dass sie ihren verlängerten Rücken doch bitte wieder etwas schwungvoller in Bewegung bringen sollten. OK, das waren jetzt nicht ganz meine Worte, aber … was wollte ich eigentlich sagen? Ach ja, richtig …

Fan zu heißt heißt vergessen

Zumindest kurzzeitig sollte ein Fan in der Lage sein, das zu vergessen, was ein Fan gerade kurz zuvor selbst in die Halle gebrüllt hat. Dann kommt das ins Spiel, wofür meiner Meinung nach Mannschaften ihre Fans vor allem haben. Zum Anfeuern, zum Aufbauen, zum Rückhalt geben. Auch wenn du als Fan in der 56. Minute beim Erlanger Treffer zur 23:26 sagst, dass es das jetzt war (nicht meine Worte!). Dann versuchst du halt doch nochmal alles, um deiner Mannschaft einen letzten Push zu geben. Oder du sagst zu den Leuten neben dir, dass du gerne mal wieder eine Torhüterparade hättest.

Das geht noch was!

Joel Birlehm muss richtig gute Ohren haben, denn er hat mich gehört und prompt mehrere Erlanger Würfe entschärft. Damit das klar ist: Hätte ich das nicht gesagt, hätte Birlehm niemals auch nur einen Wurf pariert! Ist doch so, oder? ODER?

Ich ahne es: Ihr seid nicht überzeugt. Aber viel wichtiger: war, dass sich die Löwen nicht aufgaben. Groetzki per Siebenmeter zum 24:26 (57.). Kirkeløkke zum 25:26 (59.). Noch 65 Sekunden. Technischer Fehler Erlangen, provoziert durch eine enorm tatkräftige Abwehr der Löwen. Noch 35 Sekunden. Und dann, bei sieben gegen sechs, trifft Philipp Ahouansou, der in den beiden vorherigen Spielen unter Vranjes keine Minute gespielt hatte und auch gestern erst nach über 50 Minuten kam, zum 26:26. Noch vier Sekunden. Schnelle Mitte Erlangen, Sellin (glaube jedenfalls, dass er es war) trifft ins leere Tor. Nicht schon wieder! Sowas hatten die Löwen diese Saison schon zweimal! Kurze Diskussion am Kampfgericht. Kein Tor! Jubel! Glücklich. Fix und foxi. Erleichtert. Und völlig bedient. Alles in einem. Gefühlschaos, weil die Löwen mich und alle anderen Fans mal wieder in einen Gefühlsstrudel gezogen haben, aus dem es kein Entrinnen gab.

Fan zu sein heißt, nicht abzuschalten

Jedenfalls nicht sofort. Da wird hinterher nochmal diskutiert, analysiert, das ganze Spiel aufgearbeitet. Ja, tatsächlich machen das nicht nur Trainer und Spieler! Und beim Diskutieren und Analysieren stellst du dann fest, dass es trotz unterschiedlicher Ansichten während des Spiels doch einiges gibt, was du genauso siehst wie der Fan neben dir. Dass die Abwehr der Löwen unter Vranjes (bisher jedenfalls) wieder beweglicher, aggressiver, zupackender und stabiler geworden ist. 85 Gegentore in drei Spielen (1 * Pokal und 2 * HBL) – dafür brauchten die Löwen zuvor oft nicht mal fünf Halbzeiten. Dass die Mannschaft sich nach der üblen Phase von 7:1 auf 16:21 doch noch mal berappelt hat, nie aufgesteckt hat. Dass es gerade auch die jungen Spieler sind, wie gestern v.a. Moré, aber auch Ahouansou, die in wichtigen Momenten Aktionen setzen konnten. Dass die Mannschaft auch mal Glück haben kann, wie beim letzten Wurf der Erlanger.

Beim nächsten Mal wird alles anders

Kein unnötiges Aufregen, keine Resignation, wenn es nicht so gut läuft, kein Tag danach ohne Stimme, eine faire und objektive Bewertung der Schiedsrichter während des gesamten Spiels, keine Meinungsäußerung ohne umfassende Hintergrundinformation, keine … Jaja, schon gut! Ich höre damit auf. Glaubt ihr mir ja sowieso nicht, richtig? Ich glaube es mir ja selbst nicht. Fan zu sein kannst du nicht einfach an- und wieder ausschalten. Du bist es, oder du bist es nicht. Fan zu sein heißt natürlich nicht, alles völlig unkritisch hinzunehmen. Es heißt aber, jedenfalls für mich, beim nächsten Mal wieder alles zu geben, um den Spielern zu zeigen, dass ich hinter ihnen stehe.

Wer ist noch mit dabei?