Wechselspiele – oder auch nicht – bei den Löwen

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Nein, es geht heute nicht um neue Spieler bei den Rhein-Neckar Löwen. Und auch nicht um Veränderungen im Umfeld der Löwen. Wechselspiele bei den Löwen gibt es aber auf dem Feld, allerdings nicht da, wo sie vielleicht wirklich nötig wären.

Da tut sich nichts

Irgendwie habe ich bei den Löwen das Gefühl, dass Stillstand herrscht. Vielleicht bin ich, sind alle Löwen-Fans, verwöhnt von den letzten Jahren. Ergebnistechnisch sieht das ja ganz OK aus, denn sieben Minuspunkte nach 18 Spielen sind nicht ganz so übel. Aber was auf dem Spielfeld passiert, das gibt schon Anlass zur Sorge, denn überzeugend, so rundherum, ist das alles nicht.

Ich bin kein Handballtrainer, noch nicht mal mit Handball groß geworden. Aber seit mittlerweile rund 12 Jahren verfolge ich Handball intensiver, bin durch die Kinder und die Löwen immer weiter hineingezogen worden in die Faszination des Handballsports. Und natürlich auch zum Fan der Löwen geworden, der am Ticker via Twitter tausend Tode stirbt und mitfeiert, der vor dem TV verzweifelt und vor Begeisterung schreit, der in der SAP Arena mitleidet und jubelnd die Arme nach oben wirft.

Wechselspiele

Nach mittlerweile rund 1200 – 1500 Handballspielen, die ich in den vergangenen 12 Jahren gesehen habe, bin ich noch lange kein Experte. Ein gefährliches Viertelwissen habe ich mir jedoch ganz sicher angeeignet, und mit dem betrachte ich natürlich auch die Spiele der Löwen. Und die diversen Wechselspiele. Oder vielleicht besser: Nicht-Wechselspiele. Oder noch besser: Die Wechsel-/Nicht-Wechselspiele. Während die Leistung der Löwen auf dem Feld recht zuverlässig nicht nur von Spiel zu Spiel, sondern auch mehrfach im Spiel wechselt, sieht es in Sachen Spielerwechsel ganz anders aus.

Wie zum Beispiel gestern beim Gastspiel in Kiel. Seit neustem mit einem Abo von Telekom Sport ausgestattet, inklusive der Sky Sport Kompakt-Option, kann ich mir nun die Auswärtsspiele der Löwen auch in voller Gänze anschauen. So wie gestern auch, und was ich gesehen habe ist ein Spiegelbild dessen, was die Löwen in dieser Saison bieten. Unfassbar starke Aktionen, überragende Torhüterleistungen, eine zupackende, aufmerksame Abwehr, überraschende Pässe und clevere Abschlüsse im Angriff, konsequente Tempogegenstöße. Aber auch eine löchrige Abwehr, technische Fehler zum Haare raufen, unüberlegte und unkonzentrierte Abschlüsse, Standhandball der Marke “Andy, mach mal”.

Keine Wechselspiele

Was ich aber – mal wieder – nicht gesehen habe, sind Wechselspiele auf der Platte. Wer mich kennt weiß, dass ich Nikolaj Jacobsen sehr schätze und ihn für einen großartigen Trainer halte. Er ist derjenige, der mit seinem Elan und mit seinen immer neuen Ideen die beiden Meisterschaften und den Pokalsieg ermöglicht hat. Ihm haben die Löwen unendlich viel zu verdanken, und er nimmt jetzt schon einen herausragenden Platz in der Geschichte der Löwen ein.

Der Erfolg gab ihm lange Zeit Recht. Deshalb war auch etwas zu ertragen, zu entschuldigen, hinzunehmen, wie immer man es auch nennen mag, das von Anfang an ein Kritikpunkt an Jacobsen war: Seine Aversion gegen Spielerwechsel während eines Spiels. Jacobsen war erfolgreich damit, eine Stammformation spielen zu lassen, und nur in unwichtigen Spielen oder in Spielen gegen deutlich unterlegene Mannschaften andere Spieler spielen zu lassen.

Ohne Wechselspiele geht’s – aber nicht immer

Solange der Erfolg da war wurde das nicht zum ernsthaften Problem. Der Erfolg gab ihm eben Recht. In dieser Saison aber ist alles ein wenig anders. Vielleicht sind wir Löwen-Fans auch einfach zu verwöhnt von den letzten Jahren, in denen unser Lieblingsteam oft begeisternden Handball bot und mit teilweise spielerischer Leichtigkeit andere Mannschaften dominierte. In der Zeit war Andy Schmid der überragende Akteur. Seine Brillanz, seine Genialität überdeckte manche Formschwäche seiner Mitspieler. Wie ein Schweizer Uhrwerk lief Schmid auf und hatte immer eine Idee. Und die Form, diese auch auszuführen.

Diese Form hat er aktuell nicht. Es wurde zwar zuletzt besser, aber auf dem Niveau der Vorjahre ist Schmid noch nicht wieder. Was derzeit hinzukommt: Etliche andere Spieler sind ebenfalls unter der Form der letzten Jahre, neue Spieler auf wichtigen Positionen mussten eingebaut werden, und die Gegner stellen sich mehr und mehr auf die Spielweise der Löwen ein.

Gar nichts Neues ist auch nicht richtig

Im Spiel der Löwen gibt es durchaus das eine oder andere neue Element. Meine ich zumindest entdeckt zu haben, denn was ab und an mit dem Einläufer von links oder rechts gespielt wird, ist zumindest in der Ausführung neu. Nur: Das gab es im Spiel beim THW Kiel praktisch überhaupt nicht.

Phasenweise waren die Löwen in dem Spiel sehr, sehr stark. Aber dann wieder diese unerklärlichen Totaleinbrüche. Schwankungen hatten die Löwen früher auch, nur auf höherem Niveau und mit weniger starkem Ausschlag nach unten. Und genau da setzt die Kritik an: Fehlende Wechselspiele in Sachen Personal!

16 Spieler sind manchmal 5 zuviel

Als es darum ging, die Zahl der Spieler auf dem Spielberichtsbogen von 14 auf 16 zu erhöhen, zählten die Löwen zu den Befürwortern einer solchen Änderung. Im Vorfeld der Saison war zu hören, dass man in dieser Saison über den breitesten Kader verfügt, seit Jacobsen Trainer in Mannheim ist. Gestern war davon nichts zu sehen. 16 Spieler standen auf dem Spielberichtsbogen, 11 kamen zum Einsatz. Die drei Rückraumspieler Mensah Larsen, Schmid und Petersson mussten zumindest im Angriff durchspielen. Auf die Frage, warum, antwortete Jacobsen:


Steffen Fäth war heute keine Option. Das Zusammenspiel von Mads Mensah, Andy Schmid und Jannik Kohlbacher lebt von der Sicherheit – und die haben die Drei momentan einfach mehr.

So nachzulesen im Spielbericht auf der Website der Rhein-Neckar Löwen. Da stellt sich für mich die Frage, warum das so ist. Steffen Fäth hat früher in Wetzlar schon sehr erfolgreich mit Jannik Kohlbacher zusammen gespielt. Warum klappt das bei den Löwen nicht? Ein möglicher Grund: Fäth spielt zu selten. OK, ich sehe ein, dass in den letzten Wochen Mads Mensah der beste und stabilste Rückraumspieler der Löwen war, und dass er deshalb klar die Nummer 1 auf der linken Rückraumposition ist.

Gar kein Wechsel ist auch keine Lösung

Es muss ja nicht so drastisch laufen wie bei den Mannschaften von Talant Dukshebaev, wo nach ca. 15 Minuten in jeder Halbzeit gerne mal fast komplett durchgewechselt wird. Aber so gar nicht wechseln? Auch in den letzten Wochen nicht? Gestern spielten Steffen Fäth, Filip Taleski und Vladan Lipovina keine einzige Sekunde! Keine! Einzige! Sekunde! Warum? Ich verstehe es nicht, auch nicht nach der Erklärung von Jacobsen. Im Verlauf des Spiels wurde das Spiel der Löwen immer wieder extrem statisch. Ganz extrem zu sehen im 7-gegen-6. Zwei Kreisläufer, Schmid steht (!), täuscht vielleicht mal an, und jeder weiß was kommen wird: Ein Pass zu einem der Kreisläufer. Klappte ab und an, aber es wirkte komplett durchschaubar und unfassbar undynamisch. Dagegen wirkten die Angriffe des THWs um einiges entschlossener, durchdachter und variabler. Der THW! Dynamischer und variabler als die Löwen! In den letzten Jahren wäre so ein Fazit eines Spiel undenkbar gewesen!

Keine Wechselspiele, keine neuen Ideen

Dass das Spiel der Löwen stark von Andy Schmid und seinen Geistesblitzen abhängt ist nicht neu. Wenn aber vorne eher Stillstand herrscht braucht es neue Ideen. Ode rauch neues Personal. Alexander Petersson – einer meiner absoluten Lieblingsspieler! – fand in der zweiten Halbzeit offensiv lange Zeit gar nicht statt. Warum nicht mal Lipovina reinbringen, der aus der Distanz werfen kann? Ob er dann trifft oder nicht spielt erstmal keine Rolle. Er hätte die Abwehr des THW u.U. weiter rauslocken können, denn dass man ihn aus der Distanz zumindest beachten muss wissen auch die Kieler. Das hätte eben auch ein wenig mehr Raum am Kreis schaffen können.

Auch ein Steffen Fäth kann aus der Distanz treffen. Von außen betrachtet scheint er aber über längere das absolute Vertrauen des Trainers zu brauchen, um seine Leistung abrufen zu können. Wenn du drei Spiele lang aber gar nicht spielst – ja, ich weiß, auch verletzungs- und/oder krankheitsbedingt – kann kein Selbstvertrauen aufkommen.

Wechselspiele mit Filip Taleski?

Tja, auch das wäre eine Möglichkeit gewesen, nach Ansicht von Jacobsen aber allem Anschein nach nicht. Mensah erzielte zwei Tore, hatte ab und an gute Anspiele, aber hätte das Taleski nicht auch schaffen können? Da Mensah sich in der Abwehr gegen den Ex-Löwen Harald Reinkind ein ums andere Mal auf dieselbe Art und Weise verladen ließ – immer die Täuschung gegen die Wurfhand, dann zur Wurfhand vorbei und auf das Tor – hätte ein Taleski dem vielleicht früher einen Riegel vorschieben können.

So ganz ohne ist nix

Ich verstehe durchaus, dass Kontinuität und Eingespieltheit für die Löwen wichtig ist. Das war ein ganz großes Plus in den letzten Jahren. Dieses blinde Verständnis, das dich durch schwierige Spielsituationen trägt, das dir selbst gegen scheinbar übermächtige Gegner einen Vorteil verschafft, das vieles leichter macht ist wichtig. Doch es braucht Spieler, die in Form sind, die ruhig bleiben, wenn es schwierig wird. Das fehlt den Löwen derzeit, was u.a. daran zu sehen ist, dass in kritischen Phasen Abschlüsse zu früh, zu unvorbereitet genommen werden.

Mehr Wechsel während eines Spiels, auch in vielleicht engeren Phasen des Spiels, könnten meiner Meinung nach helfen. Vielleicht nicht von jetzt auf gleich, aber mittel- bis langfristig. Ob Jacobsen das noch kann und will? Sein Vertrag endet ja bekanntlich nach dieser Saison.

Wird es Zeit für einen Wechsel?

Mittlerweile lese ich häufiger, dass es gut ist, wenn Jacobsen nach dieser Saison geht. Er wird von einigen Fans als Grund für die spielerische Schonkost angesehen. Dankbarkeit ist im Profigeschäft sicher fehl am Platz, wenn dadurch notwendige Veränderungen blockiert werden. Jacobsen nun aber teilweise sehr hart, fast schon unfair, anzugehen ist meiner bescheidenen Meinung nach aber völlig daneben. Etwas mehr Demut, etwas mehr Dankbarkeit für einige sehr starke, sehr erfolgreiche Jahre sollte einem bei aller berechtigten Kritik nicht abhanden kommen. Dafür hat Jacobsen mit den Löwen dann doch zu viel erreicht. Er hat uns Fans so viele schöne, erfolgreiche Stunden geschenkt, dass er einen Ehrenplatz im Herzen jedes Löwen-Fans haben sollte.

Wird mit dem Neuen alles besser?

Keine Ahnung, ob der neue Trainer mehr Wechselspiele plant und durchzieht. Vielleicht ist ein Wechsel doch ganz gut, so, wie es sich derzeit entwickelt. Persönlich hätte ich auch nichts dagegen gehabt, Jacobsen länger zu behalten. Aber eventuell spielt die kommende Weltmeisterschaft ja doch eine größere Rolle, als Jacobsen zugibt. Wäre ja auch verständlich, da er auch noch Trainer der dänischen Nationalmannschaft ist. Ich sollte vielleicht darauf achten, wer jetzt Jacobsen kritisiert und seine schnelle Ablösung herbeisehnt, und dann, sollte es mit Kristjan Andresson nicht so toll laufen, plötzlich Jacobsen wieder als “so toll” hinstellt.

Für die Löwen und für Nikolaj Jacobsen hoffe ich, dass die Saison ordentlich zu Ende gespielt werden kann. Vielleicht wird es ja nach der Weltmeisterschaft wieder besser, wenn Jacobsen das Thema hinter sich hat. Und wer weiß? Vielleicht schaffen es die Löwen ja, sich auf die Champions League zu konzentrieren, ohne die Teilnahme an einem europäischen Wettbewerb in der kommenden Saison zu verspielen. Die Löwen in Köln – das wäre doch ein schöner Abschluss der Trainerzeit von Nicolaj Jacobsen bei den Löwen.

Und zum Abschluss …

… wünsche ich allen treuen und gelegentlichen Leser*innen (nachträglich) Frohe Weihnachten und (rechtzeitig) einen guten Rutsch ins neue Jahr!