Die Rechnung für den Psychologen geht an die Löwen

Meine Güte, was war das denn gestern gegen den SC DHfK Leipzig? Nicht, dass die Löwen vorher noch nie Spiele geliefert hätten, nach denen du als Fan mit den Nerven am Ende warst. Ich sage nur Gummersbach, oder vorletzte Saison das Spiel beim HC Erlangen. Oder regelmäßig das DHB-Pokal Final 4 in Hamburg. Oder, oder, oder …

Ja, solche Spiele gab es massig. Spiele, in denen du als Fan mit den Löwen mitfieberst, mitleidest, in denen es ein Auf und Ab gibt, das an die Nerven geht.  Spiele, nach denen der Baldrianabsatz in der Region als Vorbereitung auf das nächste Spiel sprunghaft nach oben gestiegen sein dürfte.

Als Fan der Rhein-Neckar Löwen ist man also einiges gewöhnt. Das Spiel gegen Leipzig setzte dem Ganzen aber die Krone auf. Mal im Ernst: geistig und vor allem auch körperlich derart erledigt wie gestern war ich noch nie. Ich fühlte mich total ausgelaugt, völlig ausgezehrt, komplett kaputt, körperlich und geistig total durch den Fleischwolf gedreht. Dieses Spiel zu verdauen reicht nicht. Das muss man wirklich verarbeiten. Die Rechnung für den dazu wohl erforderlichen Psychologen schicke ich dann an die Löwen.

Die rein sportliche Geschichte des Spiels ist alleine schon eine Berg- und Talfahrt erster Klasse, die in der Zusammenfassung auf YouTube unmöglich in ihrem Umfang zum Tragen kommt. Dennoch lohnt sich das Anschauen. Manaskov, Reinkind, Steinhauser in der Anfangsformation, Mensah auf Rückraum Mitte, Baena als Kreisläufer. Schmid und Petersson nur auf der Bank, Groetzki und Sigurdsson sogar nur hinter der Bank. Ich fand es gut, dass Jacobsen auch den Spielern aus der “2. Reihe” vertraute. Bis zum 5:2 nach 10 Minuten war auch noch alles in Ordnung; die Chance zum 6:2 war da, blieb aber ungenutzt.

Die Löwen auf der Platte vor dem HBL-Spiel gegen Leipzig

Vor dem Spiel gegen Leipzig in der gut gefüllten SAP Arena herrschte Optimismus vor

Dann hatten sich die Leipziger auf die ungewohnte Aufstellung der Löwen eingestellt und kamen immer besser ins Spiel. Auf Seiten der Löwen merkte man nun, dass diese Formation selten bis nie zusammen spielt. Im Angriff ging nicht mehr viel zusammen. Mensah hatte mMn Probleme mit der Spielsteuerung, Reinkind fehlt nach wie vor das Selbstvertrauen, Manaskov spielte unglücklich. Dass noch dazu alleine in der ersten Halbzeit drei Siebenmeter vergeben wurden (insgesamt waren es sogar fünf) passte ins Bild. Die Krönung des Ganzen: beim Stand von 8:8 holen sich die Leipziger innerhalb von 16 Sekunden zwei Zeitstrafen ab. Eine Minute und 44 Sekunden in doppelter Unterzahl – und die Löwen verlieren diese Überzahl mit 0:2.

Der Halbzeitstand von 10:12 war noch recht schmeichelhaft für die Löwen. Was die Leipziger bis dahin geleistet hatten war schon imponierend. Von Trainer Christian Prokop taktisch hervorragend eingestellt, sehr engagiert, mit einem großartigen Jens Vortmann im Tor, im Angriff mit Zug zum Tor – ja, das sah recht gut aus.  Dass es nicht mehr als 12 Leipziger Tore gab war dem Umstand zu verdanken, dass Mikael Appelgren im Löwentor ebenfalls sehr ordentlich spielte und die Löwenabwehr sich weitgehend auf dem Posten zeigte.

Beim 15:18 in der zweiten Halbzeit sah es nicht gut aus für die Löwen. Was folgte war eine Energieleistung der Löwen, die rund elf Minuten lang keinen Treffer mehr zuließen. Schmid war zur Halbzeit auf Rückraum Mitte gekommen, Petersson im rechten Rückraum, Sigurdsson spielte auf Linksaußen, Pekeler auch vorne am Kreis. Diese Umstellungen griffen nun langsam, aber sicher. Zwar wurde immer noch viel zu häufig der Abschluss über den Mittelblock der Gäste gesucht. aber es wurde ganz, ganz langsam besser. Oder vielleicht besser gesagt: es wurde im Angriff ein bisschen weniger gewürgt. Da die Abwehr der Löwen nun nochmal einen Zahn zugelegt hatte sah sich Leipzig gezwungen, mit dem siebten Feldspieler zu agieren. Pekeler bedankte sich mit einem Wurf ins leere Tor der Gäste.

Minute 54. 21:19 für die Löwen. OK, die Löwen haben die Kurve gekriegt, sagte ich mir. Wenn mich nicht alles täuscht nahm Jacobsen nun eine Auszeit. Und der Faden riss.Es wurde wieder enger, Leipzig ging mit 21:22 in Führung, die Löwen gleichen aus. Kurz danach fängt fängt Steinhauser in Unterzahl einen Pass der Leipziger ab, stürmt auf das Gehäuse von Vortmann zu und trifft zum 23:22. Unfassbar! Rojewski mit dem Ausgleich, noch über eine Minute Zeit. Die Löwen spielen lange aus. Sehr lange. Dann der Wurf von Andy Schmid, dem man bis dahin sicher nicht Wurfglück nachsagen konnte. Wieder ein Wurf über die Mitte. Wieder ein Block dran. Dieses Mal aber bekommt der Ball eine ganz schräge Drehung mit, springt irgendwie seltsam auf. Vortmann, der in der anderen Ecke war, geht nach links rüber, aber diese schweizerische Hoppelgurke geht irgendwie ins Tor. Dachte ich zumindest, denn der Ball flog einfach nur komisch ins Netz, wie in der Zusammenfassung auf YouTube zu sehen ist. Ich würde bei mir selbst daher eine Wahrnehmungsstörungen aufgrund eines emotionalen Ausnahmezustands, diagnostizieren. Dass sich der Ball dann im Netz verheddert und Vortmann daher nicht die Möglichkeit hat, schnell zur Mittellinie zu werfen, passte zu diesem Spiel. Dann der letzte Wurf von Rojewski – links am Tor vorbei – gewonnen! Die Löwen waren anscheinend auch ein klein wenig erleichtert:

Und jetzt? Ein einziges Gefühlschaos! Du erlebst nochmal in Sekundenbruchteilen das Spiel nach. Die fast – aber auch nur fast – schon um sich greifende Hoffnungslosigkeit, als das Spiel kurz vor Schluss nochmal zugunsten der Leipziger kippte, Das Mitfühlen mit den Löwen, die nach der enormen Kraftanstrengung vom Donnerstag gerade mal 48 Stunden später erneut eine solche unglaubliche Kraftanstrengung unternehmen mussten. Zu sehen, dass die Löwen körperlich und mental auf dem Zahnfleisch daher kamen, und wie sie sich durch alle Widrigkeiten durchgequält haben. Dieses Sich-Aufraffen, die Mannschaft doch nochmal nach vorne zu peitschen. Zu sehen, wie die anderen Fans um dich herum mitleiden und dann Erleichterung und Glückseligkeit um sich greift, aber auch körperliche Erschöpfung. Wen das kalt lässt, der hat keinen Sinn für Sport und die Dramen, die man dabei erleben kann.

Wenn das schon mir und vielen anderen Fans so geht, dass man nach einem solchen Spiel derart mitgenommen ist, wie muss es da erst den Spielern selbst gehen? Seit gestern ist mein Respekt vor dem, was die Löwen leisten, nochmal größer geworden. Unfassbar! Nach der gewaltigen Enttäuschung vom Donnerstag ein solch brutal schweres Spiel gegen einen bärenstarken Gegner erfolgreich zu bewältigen – irre!

Zwei Dinge muss ich noch los werden. Zunächst einmal ein Wort zum Mann des Spiel, zu Marius Steinhauser. Steini hat in diesem Spiel gezeigt, dass man auf ihn bauen kann. Er hat mehr Spielanteile verdient. Nach Ende der Saison wird er nach Flensburg wechseln, wohl nicht zuletzt, weil er bei den Löwen keine Perspektive mehr sah. Nach einem Spiel wie dem gestern gegen Leipzig fragt man sich, warum er nicht öfter spielen durfte. Klar, Patrick Groetzki ist ein hervorragender Rechtsaußen und leistungsmäßig sicher höher einzuschätzen als Steinhauser. Dennoch: mehr Spielanteile hätte sich Steinhauser ganz sicher verdient. Ich hoffe für ihn, dass er diese Spielanteile in Flensburg erhält.

Und dann noch etwas zum Publikum in der SAP Arena – und zu Hallensprecher Kevin Gerwin. Manchmal wird Kevin, vor allem von Fans der gegnerischen Mannschaften, aber auch von manch eigenen Fans, als Marktschreier bezeichnet.

Löwen-Fanblock in der SAP Arena

Die Fans der Löwen stehen hinter ihrer Mannschaft

Mir ist es manchmal auch zu viel, aber für dieses Spiel muss ich ihm ein Kompliment aussprechen. Die Aufforderungen an die Zuschauer, die Mannschaft zu unterstützen, kamen zum richtigen Zeitpunkt und sie kamen nicht zu oft, als dass sie sich abgenutzt hätten. Das wirkte sich sehr positiv auf das Publikum und die Stimmung in der SAP Arena aus. Leider ist es immer noch zu oft notwendig, den Löwen-Fans zu sagen, dass sie aufstehen sollen. Dieses Gespür, wann es für die Mannschaft wichtig ist, ihr durch Aufstehen zu zeigen, dass man im wahrsten Sinn des Wortes hinter ihr steht, fehlt dem Großteil des Publikums noch. Aber das wird sich ändern, je länger die Löwen in der SAP Arena antreten und je mehr Fans Jahr um Jahr hingehen. Dass dieses Mal praktisch die ganze Halle die letzten sieben (!) Minuten stand und die Mannschaft frenetisch anfeuerte, sie durch den Applaus und die Anfeuerungsrufe ins Ziel trug – phantastisch! Hier hat Kevin Gerwin den richtigen Moment und die richtigen Worte erwischt. Ich hoffe, dass ganz, ganz viele der über 10000 Zuschauer wieder kommen und eine solche Stimmung immer häufiger herrscht.

Danke, liebe Löwen, für solche unglaubliche Momente, für solche unglaubliche Erlebnisse! Die Rechnung für den Psychologen schicke ich euch aber trotzdem.